Ein Großteil der Kommentatoren und sogar auch der Politiker sind sich einig, dass Europa derzeit außerordentlichen Bedrohungen ausgesetzt ist: wirtschaftlich und technologisch von den USA und China, militärisch von Russland.

Dazu kommen neben der allgegenwärtigen Klimaproblematik noch die selbst gemachten Bedrohungen durch die Demographie, die Migration, die Bildungsmisere, die Ausuferung des Sozialstaates, der Fiskal-Überschuldung und der Desintegration der klassischen Politiksysteme durch die zunehmende Schwäche der traditionellen „Volksparteien“.

Diese äußeren und inneren Bedrohungen treffen auf ein geändertes internationales Umfeld: tendenziell geringere Globalisierung, Abkehr von „regelbasierten“ Ordnungselementen, militärisch stark aufflammenden Regionalkonflikten; allerdings auch auf eine weiter merkbar wachsende Weltwirtschaft (letzte IWF-Wachstumsprojektion für 2026: 3,1 %), wobei die außereuropäische Weltwirtschaft über diesem bereits bemerkenswerten Durchschnitt liegt, vor allem China (4,2 %), die USA liegen bei 2,1 %, der Euroraum bei 1,1 %, Deutschland bei 0,9 %.

Die äußeren und inneren Bedrohungen treffen so auf den bereits am schwächsten wachsenden Teil der Weltwirtschaft. Die Probleme liegen also kaum an einer global zu geringen Nachfrage, sondern in erheblichen Marktanteilsverlusten, die zum Teil – aber eben nicht nur – mit zunehmend protektionistischen Maßnahmen zu erklären sind: die USA und China sind dafür deutliche Beispiele. Eine derartige Problemballung für die europäische Politik verlangt umfassende wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitische Änderungsansätze. Diese werden an vielen Stellen mit durchaus richtigen Zielsetzungen diskutiert. Die vorliegenden politischen Rahmenbedingungen lassen diese aber aus heutiger Sicht kaum in genügender Intensität zu. In der Mehrheit der europäischen Staaten, besonders auch in den größeren, zerbröckelt die politische Mitte, was eine konsequente Reformpolitik – vor allem auch auf koordinierter europäischer Basis – fast unmöglich macht.

Viele der angesprochenen Themen, wie zum Beispiel die im Bildungs-, im Sozial- und im Steuersystem, müssen auf nationaler Ebene angegangen werden, die wahrscheinlich noch wichtigeren sind aber nur auf europäischer Ebene zu lösen: Verteidigung, Technologie, Forschung, Handel, Währung, Kapitalmärkte, Migration, Verkehr, und natürlich auch der Umweltschutz. Die hier zum Teil bereits vorhanden integrationspolitischen Ansätze haben aber aufgrund der sich derzeit abzeichnenden politischen Konstellationen in wichtigen Mitgliedsländern, voraussichtlich keine Perspektive. Hier wären vor allem zu nennen die Tendenzen in Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik, auch von Italien werden keine integrationspolitischen Impulse kommen. Deutschland steht mit seinen fünf Landtagswahlen in 2026 (davon zwei in Ostdeutschland) ebenfalls in einer Situation, die für weitere Integrationsinhalte nicht gerade zuträglich ist. Großbritannien, was sich zuletzt gegenüber der EU wieder etwas geöffnet hat, besonders im Rüstungsbereich, droht auf mittlere Sicht von der EU-feindlichen UK Reform-Bewegung geprägt zu werden. Die angedachten gemeinsamen Rüstungs-, Technologie- und Kapitalmarktprojekte und die dringend notwendige weitere Liberalisierung im EU-Binnenmarkt (geschätzter Wachstumseffekt circa 1 % n.a.) sind in der beschriebenen politischen Konstellation kaum durchführbar.

Als „behelfsmäßiger“ Ausweg bieten sich bei dieser Ausgangslage nur Teillösungen im Rahmen von „Koalitionen der Willigen“ an, in jeweils variierenden Konfigurationen, die auch Nicht-EU-Partner umfassen können. Im wichtigen Rüstungsbereich zeichnen sich derartige Tendenzen bereits ab (etwa nach dem voraussichtlichen Scheitern des FCAS Jagdbomber-Projekts oder bei der U-Boot-Allianz aus Deutschland, Norwegen und Kanada). Teillösungen sind selbstverständlich besser als gar keine Lösungen, sie können im Übrigen in einer späteren Phase zu einem größeren Ganzen zusammengeführt werden. Aber sie führen natürlich nicht zu dem notwendigen gesamtpolitischen Schub, der bei der gegebenen Ausgangslage benötigt wird. Hierzu wäre die Brechung der derzeit vorherrschenden populistischen Grundtendenzen in Europa unabdingbar, was natürlich kein technokratisches, sondern ein essenziell politisches Projekt ist. Das Ergebnis der kürzlichen niederländischen Wahl ist ein – hoffentlich nicht vereinzelter – Lichtblick.

*Featured image ((C) Tasso Mitsarakis)

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