In der Europäischen Union ist im Zusammenhang mit der Corona-Krise eine politisch sehr aufgeladene Diskussion über den Sinn, die Notwendigkeit und die gemeinschaftspolitische Dimension der Ausgabe von Corona-Bonds entstanden. Zunächst ist dies eine Fortsetzung der Diskussion über Euro-Bonds, die bereits heftig in der letzten Finanzkrise – aber ohne Ergebnis – geführt wurde. Sie ist ein gesamtgemeinschaftliches Thema, wird allerdings zugespitzt zwischen Italien und Deutschland diskutiert. Die Schärfe und die Ausuferung der Auseinandersetzung belastet die Gemeinschaft schwer und beeinträchtigt auch die Kapazität ihrer Gremien, auf anderen wichtigen Feldern, wie etwa dem des Gemeinschaftshaushalts für die nächsten Jahre, zu tragbaren Ergebnissen zu kommen. Die Diskussion bewegt sich verabsolutierend zwischen den Slogans „Solidarität“ und „Solidität/Eigenverantwortung“. Die folgenden Ausführungen zeigen, dass auf bereits bestehender Basis in der Gemeinschaft derzeit an sich kein Mangel an finanzieller Solidarität besteht, dass es aber politisch notwendig werden wird, der besonderen menschlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimension der derzeitigen Krise Rechnung zu tragen. Historische Momente verlangen die Setzung sichtbarer Zeichen.

Bei den bestehenden Instrumenten handelt sich um die Europäische Investitionsbank (EIB) und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Daneben besteht natürlich noch die Europäische Zentralbank (EZB), deren Rolle aufgrund ihrer spezifischen Natur als Notenbank später behandelt werden soll. Über die EIB sollen über einen neuen Garantiefond, der für die Dauer der Corona-Krise befristet ist, bis zu Euro 200 Milliarden Liquidität und kurzfristige Kapitalhilfen mobilisiert werden. Die EU-Mitgliedstaaten bürgen hierfür gemeinschaftlich und zahlen Euro 25 Milliarden als Cash ein. Die Mittel werden also gemeinschaftlich aufgebracht und kommen schwerpunktmäßig den notleidenden Südländern zugute. Diese Mittel werden zusätzlich zu den schon erheblichen bestehenden Kapazitäten mobilisiert. Da die Mittel für Unternehmen und Projekte verwendet werden, belasten sie die Staatsverschuldung nicht.

Das klassische europäische Instrument zur Krisenbewältigung, das aus der letzten Euro-Krise stammt und nur für den Euro-Raum einsetzbar ist, ist der ESM. Der ESM kann derzeit bis zu Euro 410 Milliarden auf den Kapitalmärkten unter der Garantie aller Euro-Staaten aufnehmen und an die bedürftigen Länder weitergeben. Die Mittel sollen an sich nur mit einem wirtschaftspolitischen Begleitprogramm, das von einer Überwachungsinstanz kontrolliert wird, ausgereicht werden. Dies hat dem ESM in den bisherigen Programmländern (Griechenland, etc.) und darüber hinaus einen schlechten Ruf eingetragen. Aus diesem Grunde ist er in dieser Form in den derzeit notleidenden Ländern, vor allem in Italien, politisch nicht mehr einsetzbar. Im Übrigen ist jede Transaktion von der Zustimmung des Deutschen Bundestages und anderer Parlamente abhängig, was die Handhabung auch nicht gerade erleichtert. Jedes Land kann vom ESM bis zu 2% seiner Wirtschaftsleistung abrufen – für Italien wären das knapp Euro 40 Milliarden. Die mobilisierbaren Mittel sind also gemeinschaftlich aufgebracht und sehr hoch, allerdings durch den ESM-Gesamtrahmen begrenzt; schließlich sind sie wirtschaftspolitisch konditioniert – und sie erhöhen die Staatsschuld.

Der Volumenbegrenzung kann ggfs. durch den Einsatz erheblicher sogenannter OMT-Mittel der EZB begegnet werden. Eine ESM-Vergabe mit Programm ist (derzeit noch) eine Voraussetzung des Einsatzes von EZB-Mitteln zum singulären Aufkauf von Staatstiteln eines einzelnen Landes in größerem Umfang. Die gegenwärtige politische Diskussion wird darauf hinauslaufen, dass es eine Konditionierung nur noch pro forma gegen wird – etwa in dem Sinne, dass die Mittel nur für Projekte im Zusammenhang mit der Corona-Krise verwendet werden dürfen. Wenn dies der Fall wäre, entsprächen diese ESM-Mittel vollkommen den Corona-Bonds, die ja auch nur für Corona-Zwecke eingesetzt werden sollen. Sie wären in der Höhe auch praktisch nicht begrenzt, weil die EZB zusätzlich unlimitiert eingreifen könnte. Ein in der derzeitigen Diskussion noch offener Punkt ist die Bindung der Mittelvergabe an die Einhaltung des Euro-Stabilitätspaktes. Dieser ist zwar im Augenblick ausgesetzt, ist aber zum Beispiel für Italien ein sehr sensibler Punkt. Um diese Diskussion zu entspannen, könnte man in den ESM-Kreditbedingungen hierauf an sich verzichten, da jedes Euro-Land ohnehin zur Einhaltung dieses Paktes verpflichtet ist (was im Übrigen sehr flexibel und tolerant gehandhabt wird).

Zu diesen zwei bestehenden Mechanismen EIB und ESM hat die EU-Kommission noch ein zusätzliches Kreditprogramm mit dem Namen SURE zur Stützung der nationalen Arbeitsmärkte über die Finanzierung von Kurzarbeitergeld vorgeschlagen. Die EU-Kommission will hier Euro 100 Milliarden unter der Garantie aller Mitgliedsländer aufnehmen, auch hier wieder ein großvolumiger Mitteltransfer unter der Haftung aller Länder. Da die Details von SURE noch nicht ausgearbeitet sind ist nicht klar, ob diese Mittel den Schuldenstand der jeweils begünstigten Länder erhöhen oder nicht.

Auf diesen sogenannten Dreiklang EIB, ESM, SURE wird man sich in der EU wahrscheinlich kurzfristig einigen. Der Dissens bleibt allerdings zwischen den Süd- und den Nordländern, ob dies das vorläufige Ende aller Maßnahmen ist oder ob der Dreiklang noch durch einen zusätzlichen großvolumigen, zeitlich befristeten Fonds für gemeinschaftliche Anleihen (eben die Corona-Bonds, obwohl man sie wohl nicht so nennen wird) ergänzt werden soll. Sollte sich die europäische Wirtschaftskrise weiter verstärken und die bestehenden Instrumente an ihre Grenzen stoßen, da sie alle limitiert sind, wird man an diesem neuen Fond voraussichtlich nicht vorbeikommen, zumal nach den derzeitigen Stabilisierungsfinanzierungen in Zukunft zusätzliche Konjunkturprogramme notwendig werden. Die Alternative, einfach den „weichgespülten“ ESM zu erhöhen wäre politisch nicht so prägnant und ist daher eher unwahrscheinlich. Die zweite Alternative, die großvolumige Ergänzung der ESM-Mittel durch EZB-Anleiheankäufe (OMT-Programm), ist wirtschafts- und auch verfassungspolitisch äußerst brisant, denn dadurch würde der bisher schon schleichende Prozess der „Monetarisierung der Staatsschulden“ voraussichtlich über alle bisher noch gesetzten Grenzen hinaus betrieben. Man muss sich hierbei vor Augen halten, dass die EZB in der Zwischenzeit die internen Grenzen für den Ankauf von Staatstiteln ausgesetzt hat. Diese bestanden im Ankaufslimit für höchstens den dritten Teil der Titel eines Staates und einer angestrebten Verteilung aller aufgekauften Titel im Verhältnis ihrer Kaptalanteile an der EZB. Die EZB könnte unter dieser Konstellation also sehr große Volumina Staatsanleihen ohne konkrete Begrenzung einkaufen, was den Status und die Verfassung der Bank allerdings nachhaltig ändern würde: sie würde ein langfristiger Hauptgläubiger der Mitgliedsstaaten und damit ihre geldpolitische Unabhängigkeit verlieren. Schuldenumstrukturierungen würden hiermit praktisch unmöglich. Für derartige Operationen wären im Übrigen keinerlei politisch legitimierende Beschlüsse von EU oder nationalen Gremien nötig; es genügte ein Mehrheitsbeschluss des Zentralbankrates.

Wer in einer sich zuspitzenden Corona-Situation gegen einen gepoolten gesamtschuldnerischen Anleihefonds (Corona-Bonds) votiert, geht somit die weit größere Problematik einer noch höheren Monetarisierung der Staatsschulden ein. Corona- oder Euro-Bonds entstünden aus einer Mobilisierung bestehenden Kapitals, Staatsschulden über EZB-Ankäufe entstehen durch Geldschöpfung. Die Gefahr einer wachsenden Monetarisierung steht hier also gegen mögliche Nachteile einer zusätzlichen Gemeinschaftshaftung. Falls sich die EU-Gremien auf gar keine der diskutierten Versionen einigten, wird bereits diskutiert, dass die EZB einen Großteil der sich stellenden zusätzlichen Finanzierungslasten für einzelne Länder übernimmt, also auch ohne die Vorschaltung des ESM im Rahmen des OMT. Es gibt also neben den sehr guten allgemein-politischen auch sehr gute wirtschaftspolitische Gründe, bei einer Verschärfung der Krise einer gemeinschaftlichen anleihefinanzierten Fondlösung näher zu treten, zumal diese im Gegensatz zur EZB-Lösung volumen- und zeitmäßig begrenzt wäre.

Im gesamten Transferzusammenhang muss noch auf zwei weitere Zusammenhänge hingewiesen werden. Zunächst ist dies das derzeit diskutierte EU-Budget für die nächsten Jahre. Hier wird die EU-Kommission darauf hinarbeiten, dass in diesem Haushaltsentwurf Umschichtungen zugunsten der besonders notleidenden Länder in zweistelliger Euro-Milliardenhöhe stattfinden werden. Dieser Haushalt ist noch nicht beschlossen. Eine allzu restriktive Haltung zur Erhöhung des Gesamtbudgets, wie dies bisher der Fall ist, wird sich Deutschland hier nicht länger in der bisherigen Form leisten können, weil dies die Umschichtungsmöglichkeiten begrenzt.

Schließlich sind im Rahmen von gemeinschaftlichen Finanzierungsinstrumenten auch die „berüchtigten“ Target-Salden zu erwähnen, die nicht die Haushalte, Unternehmen oder Projekte der Länder finanzieren, sondern deren Zahlungsbilanzen. Es handelt sich hier nicht um geplante Finanzierungsakte, sondern um auflaufende Salden aus den innergemeinschaftlichen Zahlungsströmen in beträchtlicher Höhe. Diese erscheinen nicht unter den nationalen Verbindlichkeiten, da es sich um solche der Zentralbanken handelt, die in die nationalen fiskalischen Schuldenstatistiken nicht aufgenommen werden. Die europäischen Nordländer, insbesondere Deutschland, müssen sich im Rahmen der Krise wieder auf ein nachhaltiges Ansteigen dieser Salden einstellen. Dies hängt mit der sich voraussichtlich verschlechternden Zahlungsbilanzposition der Krisenländer zusammen und mit den Nebenwirkungen der wieder aufgenommen Anleihekäufe der EZB. Derzeit liegt der deutsche Saldo bei über EURO 800 Milliarden, er war bereits in der Nähe von Euro 1000 Milliarden. Direkte Maßnahmen, größere Anstiege zu begrenzen, gibt es im gegenwärtigen vertraglichen Umfeld nicht. In der Gesamtdiskussion über Transferbeziehungen sind diese nicht unerheblichen Beträge durchaus zu berücksichtigen, was nicht immer geschieht. Im Rahmen einer Gesamtlösung der zukünftigen EU-Finanzordnung wäre es sicher sinnvoll, gerade von deutscher Seite diese Problematik zu thematisieren.

Es wird deutlich, dass die Gemeinschaftshaftung innerhalb des EU-Finanzierungssystems (nicht bei den nationalen Schulden) bereits sehr verbreitet ist. Dies liegt im Übrigen an der Logik der Integration. Hier technokratische Defensivdiskussionen zu führen erscheint in dieser historischen Krisensituation politisch nicht sehr klug, besonders wenn man den Anspruch hat eine aktive Europa-Politik zu verfolgen. Eine unbedingt notwendige Lösung darf aber die Stellung der EZB als unabhängige und hauptsächlich der Geldpolitik verpflichtete Notenbank nicht weiter kompromittieren.

Dr. Peter Gloystein
Düsseldorf, 06. April 2020




    Wie hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?